„Realitäts-Check Bürgergeld – Wo stehen wir heute? Was liegt vor uns?“ war der Titel der diesjährigen „Pro Arbeit sozial“. Etwa 180 Menschen kamen ins Haus der Wirtschaft, bis zu 80 verfolgten den Livestream. Am Anfang berichtete Guido Heinemann von der IGELA (Interessengemeinschaft Langzeitarbeitsloser) über die Situation von Bürgergeldempfänger: innen. „Es ist an der Zeit, dass wir die Augen öffnen und die Realität erkennen. Die Kluft zwischen den Armen und den Wohlhabenden wird immer größer."
„Diejenigen, die am meisten leiden, sind diejenigen, die am wenigsten haben“, so Heinemann weiter. Während die Inflation weiter steigt, solle das Bürgergeld stagnieren oder sogar gekürzt werden. „Selbst der Europarat stellt der Bundesrepublik kein gutes Zeugnis aus“, so Heinemann. „Er fordert eine stärkere Bekämpfung der Armut, Wohnungslosigkeit und Ausgrenzung.“ Das hohe Maß an Armut stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes, so der Europarat.
Das Bürgergeld sei ein Grundrecht. Es gehe darum, ein Leben in Würde zu führen. Man müsse gemeinsam eine Gesellschaft aufbauen, in der jeder eine faire Chance hat, sein volles Potential auszuschöpfen. „Qualifizierung und nichtprekäre Arbeitsverhältnisse sind die passenden Instrumente.“ Zum Schluss zitierte Heinemann John F. Kennedy: „Wenn eine freie Gesellschaft, den vielen, die arm sind, nicht helfen kann, kann sie auch nicht denen helfen, die reich sind.“
World-Cafés kamen gut an
Der Ablauf der Tagung wurde umgestaltet, um den Wunsch nach mehr Austausch nachzukommen. Das kam bei den Besucher:innen gut an. Besonders die World-Cafés wurden positiv bewertet. Dabei arbeiten Gruppen von 10 bis 15 Menschen an einem Thema. Nach 20 bis 30 Minuten wird gewechselt. So werden die Themen von ganz verschiedenen Seiten in immer neuen Gruppen betrachtet, gleichzeitig können sich die Teilnehmenden über verschiedene Themen informieren.
Bei den World-Cafés der Pro Arbeit wurden unter anderem angesprochen: „Qualifizierungs- und Fortbildungsmöglichkeiten im Rahmen des Bürgergeldes“. „Was brauchen Frauen, um in Arbeit zu kommen?“ „Mit digitalisiertem Deutschlernen erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt“. „Arbeit lohnt sich immer!? Langzeitarbeitslose so unterstützen, dass sie in Arbeit kommen“. Die Ergebnisse sind auf proarbeit-sozial. de abrufbar.
Die Schlussdiskussion knüpfte an die Debatte um das Bürgergeld an und ging auf die „Arbeitsgelegenheiten“ (AGHs) ein. „Die Debatte ist ein Angriff auf den Sozialstaat“, so Bundestagsabgeordneter Dr. Martin Rosemann (SPD). Es werde ein falscher Gegensatz aufgemacht zwischen „denen, die den Sozialstaat finanzieren, und denen, die ihn brauchen. In den letzten Krisen war der Sozialstaat nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Jede und jeder kann auf ihn angewiesen sein, bei Krankheit, Pflege, Rente.“ Der Sozialstaat sei in Deutschland weniger gewachsen als in anderen Ländern. Bundestagsabgeordnete Beate Müller- Gemmeke (Bündnis 90 / Die Grünen) sprach von einer „kommunikativen Abwärtsspirale“. Sie nannte die Debatte ein „machtpolitisches Geplänkel. Man redet nicht mit den Menschen. Es geht darum, dass die Menschen wieder in den Arbeitsmarkt kommen.“ Auch die CDU war angefragt worden, leider nahm niemand die Einladung zur Diskussion an.
Diskussion zu den Arbeitsgelegenheiten
Aus der Praxis konnte Katja Mast, Geschäftsführerin des Jobcenters Esslingen berichten: „Wir müssen mit Unsicherheiten umgehen. Es gibt keinen Bereich, in dem so viele Sozialgerichtsurteile gefällt werden wie beim Jobcenter. Wir wünschen uns eine Beständigkeit bei der Qualifizierung.“ Mast hob die sozialpädagogische Begleitung bei den AGHs im Landkreis Esslingen hervor. Erstes Ziel sei die Teilhabe. Marc Hentschke, Vorstandsvorsitzender des EFAS, betonte, die AGHs müssten etwas Sinnvolles bieten. „Das kann ich nicht nur mit Bildung machen, ich muss die Menschen mit Arbeit konfrontieren.“ Ein Rückzug aus der arbeitsmarktnahen Förderung sei deshalb falsch.
Absehbar ist, dass es wegen des engeren finanziellen Spielraums schwieriger wird, Angebote wie die AGHs aufrechtzuerhalten. „Wir müssen darauf vertrauen, dass der Bundestag die Mittel wieder freigibt“, so Dr. Klaus Bermig vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Er warnte auch davor, die Einkommensfreibeträge zu erhöhen, dies hätte mehr Leistungsempfänger:innen zu Folge.
Als Ergebnis kann man festhalten, dass die Erwartungen und Vorstellungen zu den AGHs sehr unterschiedlich sind. Rosemann forderte deshalb, noch einmal das Instrument AGH zu schärfen: „Was ist das Ziel und welche Mittel gibt es, das Ziel zu erreichen?“ Ansonsten sei der individuelle Ansatz gefährdet.
Weitere Infos unter proarbeit-sozial.de