Da benachteiligte Menschen ohne lesen und schreiben zu können keine vollwertige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben, engagiert sich die Neue Arbeit seit vielen Jahren im Bereich der Sprachförderung in Verbindung mit Alphabetisierung und Grundbildung. Aktuell werden Betroffene, die nicht lesen und schreiben können, in den Kursen „AktiF“ und „BEF ALPHA“ zu den elementarsten Kulturtechniken befähigt.
Am 12. November fand ein Online-Alpha-Tag im Rahmen einer Zoomkonferenz als Fachtagung statt. Ausgerichtet haben diese Konferenz das Sozialunternehmen Neue Arbeit in Kooperation mit dem Verein für internationale Jugendarbeit, ViJ.
Dr. Roland Peter, stellvertretender Leiter des Referats für Weiterbildung / Erwachsenenbildung im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, betonte in seinem Einführungsvortrag die Wichtigkeit von Kooperationen, um Analphabeten überhaupt zu erreichen. „Es braucht Institutionen wie die Neue Arbeit oder den ViJ, um Zugang zu diesen Menschen zu finden“, sagte Peter. Die Bekämpfung des Analphabetismus sei sehr wichtig, da Betroffene zum Beispiel wichtige Corona-Informationen nur schwer lesen und verstehen und auch schnell Opfer von Fakenews werden können. Die OECD-Studie zur Weiterbildung attestiert Deutschland schlechte Noten im internationalen Vergleich. Australien, Kanada, Finnland, also Länder, die aufgrund weiter Entfernungen schon immer digitale Angebote benötigt haben, sind viel weiter.
Knut Becker von der Fachstelle für Grundbildung und Alphabetisierung in Baden-Württemberg betonte die Wichtigkeit des Alpha-Siegels, welches für das Thema Alphabetisierung sensibilisiert. Das Alpha-Siegel können Institutionen als niederschwelliges Instrument nutzen, um Analphabeten zu signalisieren: Du bist bei uns willkommen und wir wollen dir Lernangebote machen, damit du den Analphabetismus überwinden kannst. Auch die Neue Arbeit bewirbt sich aktuell um das Alphasiegel.
Für Becker ist der Analphabetismus eine Aufgabe, die nur im Zeitrahmen einer Generation, also innerhalb von circa 25 Jahren, gelöst werden kann. Wichtige Instrumente seien dabei Fortbildungsangebote, das Alpha-Siegel und niederschwellige Angebote wie aufsuchende Bildung. Man müsse dorthin gehen, wo sich die Menschen, die es betrifft, aufhalten, zum Beispiel in Tafelläden, Kleiderkammern und Stadtbüchereien, sagte Becker.
Laut einer Umfrage befürchten Analphabeten, dass die Digitalisierung das Lernen für sie noch schwerer und komplizierter macht. Der Austausch im Plenum des Alpha-Tages machte aber klar, dass trotz dieser Ängste die Entwicklung und das Angebot digitaler Formate vorangetrieben werden muss, weil es in Pandemiezeiten alternativlos ist. Aber um Kontakt zu den Kursteilnehmenden zu halten und Unterricht zu machen, braucht es weiter Kreativität und Einfallsreichtum. Spaziergänge mit den Betroffenen, Einzelcoaching, Einbindung von Ehrenamtlichen für Lerntandems und Infostände auf öffentlichen Plätzen sind nur ein paar Ideen.
Info
Etwa 750.000 Menschen in Baden-Württemberg und circa 6,2 Millionen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. In Baden-Württemberg werden circa 1000 Menschen mit Alphabetisierungskursen erreicht. Etwa 300 Unterrichtsstunden werden benötigt, um kurze Sätze wie „Hast Du heute Abend Zeit, wollen wir ins Restaurant gehen?“ selbstständig zu verfassen, zu lesen und zu verstehen. Etwa 1000 Unterrichtseinheiten brauchen Kursteilnehmende um zum Beispiel einen Brief vom Jobcenter lesen, verstehen und adäquat darauf reagieren zu können.