• Subline / Untertitel: Warum treten Langzeitarbeitslose trotz Fach- und Arbeitskräftemangel selten in den Arbeitsmarkt ein?
Die neu erschienene Studie "Arbeit lohnt sich immer?!" Cover-Foto cyanfarben

Für eine Studie wurden Langzeitarbeitslose befragt, warum sie keine der vielen offenen Stellen antreten. Unsicherheit und Ängste sind die Hauptursachen.

„Dinge, die für andere ziemlich normal sind, sind für jemanden, der Ängs­te hat, extrem belastend, weil du dir selber nichts zutraust.“ (Anna)

„Unterschätzt nicht die Leute, die in Bezug leben, denn die wollen auch arbeiten und es gibt sehr viele, die arbeiten. Es gibt sehr viele, die da nicht unbedingt sein wollen, aber trotzdem sind. Es gibt viele, die auch wieder raus wollen, aber keine Chance mehr haben.“ (Daniel B.)

„Warum treten viele Langzeitarbeitslose trotz zahlreicher offener Stellen — etwa in der Gastronomie — nicht in den Arbeitsmarkt ein?“ Mit dieser Frage beschäftigt sich die Studie „Arbeit lohnt sich immer?!“, die vom EFAS (Evangelischer Fachverband für Arbeit und Soziales e.V.) und dem Sozialunternehmen NEUE ARBEIT gGmbH durchgeführt wurde. Dabei wurden Langzeitarbeitslose aktiv als Mitforschende einbezogen und führten die Interviews durch. Diese Art der Befragung führt zu tieferen und ehrlicheren Antworten, weil sie auf Augenhöhe stattfindet. Das Ergebnis zeigt, dass Angst und Unsicherheit die entscheidende Rolle spielen: Unsicherheit, ob man den Aufgaben des ersten Arbeitsmarktes gewachsen ist, und Angst davor, eine vertraute Umgebung, etwa in einer Maßnahme, zu verlieren.

Der innovative Hauptbefund der Studie ist aus meiner Sicht vor allem, auf die Unsicherheit und Angst aufmerksam zu machen, die mit Langzeitarbeitslosigkeit, aber auch mit anschließenden Erwerbsaufnahmen verbunden ist“, so Prof. Dr. Markus Promberger vom IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung).

Zu der am 18.7.2025 veröffentlichten Studie sagt Bundesvorständin Sozialpolitik Diakonie Deutschland, Elke Ronneberger:
„Die Erfahrungen der langzeitarbeitslosen Menschen in der Studie zeigen: Angst und Unsicherheit hemmen den Weg zurück in den Arbeitsmarkt. Integration gelingt, indem man die Menschen individuell begleitet, sie stärkt und Unsicherheiten abbaut. Statt Langzeitarbeitslose als arbeitsscheu zu stigmatisieren und auf Druck zu setzen, sollten Förderangebote, wie Coaching, Teilhabe am Arbeitsmarkt und Arbeitsgelegenheiten deutlich ausgebaut werden.“ 

Befragt wurden 34 langzeitarbeitslose Menschen in ganz Deutschland zwischen 21 und 61 Jahren.

Die Studie zeigt, dass es den typischen Langzeitarbeitslosen nicht gibt, sondern tausend individuelle Wege in die Arbeitslosigkeit hineinführen. Menschen, die noch nicht so lange arbeitslos sind, sind eher bereit, eine Beschäftigung zum Mindestlohn aufzunehmen. Eine lange Arbeitslosigkeit dagegen verstärkt die Hoffnungslosigkeit, das Gefühl der Ausgrenzung und am Ende die Arbeitslosigkeit selbst. In dieser Situation versuchen die Betroffenen ein Mindestmaß an Sicherheit aufrechtzuerhalten. Daraus entwickeln sich Ängste gegen Veränderungen: die Angst vor prekärer Beschäftigung, die Angst zu scheitern und noch weiter zurückzufallen oder die Angst, die vertrauten Beziehungen innerhalb einer Beschäftigungsmaßnahme zu verlieren.

Ein Großteil der Betroffenen reagiert deswegen, trotz hohem Leidensdruck, ambivalent im Hinblick auf den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt. Oft entspricht ihre Haltung keinem klaren „Wollen“ oder „Nicht-Wollen“, sondern liegt irgendwo dazwischen. Begründet liegt diese (vermeintliche) Widersprüchlichkeit in den psychischen und physischen Einschränkungen, in Sicherheitsbedenken, Ängsten, aber auch in den Routinen und Überlebensstrategien, die in der Langzeitarbeitslosigkeit entwickelt wurden.

Die Studie bietet viele innovative Anregungen für die Vermittlungsarbeit, weil erstmals die Perspektive der Langzeitarbeitslosen zu dieser Forschungsfrage eingeholt wurde. Wenn tausend individuelle Wege in die Arbeitslosigkeit führen, so muss es auch tausend Wege hinausgeben. Jeder Langzeitarbeitslose ist darum ein Fall für sich und muss entsprechend behandelt werden.  Es müssen solide Brücken zwischen Arbeitslosen und Arbeitgeber:innen gebaut werden, um Ängste und Vorbehalte zu überwinden, um langzeitarbeitslose Menschen und Unternehmen zusammenzubringen.

Auch von Arbeitgeberseite sind solche Ansätze willkommen, wie die Gespräche mit Unternehmern zeigen.

 „Es gibt die große Unsichtbarkeit von Langzeitarbeitslosen. Aktives Marketing, das vermisse ich im Moment total. Und da ist es auch kein Wunder, dass Langzeitarbeitslose überhaupt nicht wahrgenommen werden im Bewerbungsprozess. Es wird alles den Arbeitslosen selbst überlassen und das halte ich für einen großen Fehler“, so der Unternehmer Titus Kaufmann.

Anfang Juli konnte die Studie erstmals Politiker:innen von CDU/CSU und SPD vorgestellt werden.

Hintergründe zu Studie

Die Studie „Arbeit lohnt sich immer?!“ wählt einen qualitativen Ansatz, um den Zustand und das Verharren in der Langzeitarbeitslosigkeit — ausgehend von den subjektiven Wahrnehmungen sowie den komplexen Lebensgeschichten der Befragten — zu erforschen. Die Daten wurden in mehreren Fokusgruppen-Workshops und in 34 Interviews erhoben. Dazu kommen Expert:innen-Interviews mit Arbeitgebern, Wissenschaftlern und Trägern der Arbeitshilfe.

Die Auswertung erfolgte vor allem in 24 detaillierten soziologischen Rahmungen, jeweils im Tandem von langzeitarbeitslosen Menschen und Wissenschaftlern. Dazu kommen vier vertiefende Analysen zu den Schlüsselkategorien „Langzeitarbeitslosigkeit und Ängste“, „Langzeitarbeitslosigkeit und psychische Erkrankungen“, „Langzeitarbeitslosigkeit im Kontext physischer und psychischer Gewalt“ sowie „Langzeitarbeitslosigkeit im Spannungsfeld zwischen Orientierungslosigkeit, Fremd- und Selbstbestimmung“. Weitere Aufsätze, ein ausführliches Fazit, bestehende Good-Practice-Beispiele und Handlungsempfehlungen ergänzen die Ergebnisse.

Langzeitarbeitslose waren am gesamten Prozess beteiligt, renommierte Wissenschaftler steuerten Texte bei und begleiteten den Prozess, so Franz Schultheis (Seniorprofessor für Soziologie an der Zeppelin Universität), Claudia Schulz (Professorin für Diakoniewissenschaft und Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg) und Markus Promberger (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Leiter des Forschungsbereichs „Erwerbslosigkeit und Teilhabe“ am „Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“).

Ein PDF der Studie kann heruntergeladen werden unter: https://arbeit-lohnt-sich-immer.de/
Dort sind auch die vollständigen Interviews dokumentiert.

Als Buchausgabe kann die Studie gegen eine Pauschale von 10 Euro be­stellt werden bei:

Sozialunternehmen NEUE ARBEIT gGmbH
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