Arme Menschen sind häufiger krank und sterben früher. Krankheit ist die dritthäufigste Ursache von Verschuldung. Mit solchen Fakten beeindruckte der Obdachlosenarzt Dr. Gerhard Trabert bei der Eröffnung der Straßen-Universität Stuttgart. Er hielt den Eröffnungsvortrag zum Thema „Armut und Gesundheit“.
Trabert hatte weitere Fakten parat: Etwa 30 Prozent der Obdachlosen bräuchten eine Brille, aber die wird nicht von der Kasse bezahlt. Herzinfarkt ist nicht nur die Krankheit der Manager, sondern auch die sozial benachteiligter Menschen. Die Erkenntnisse mündeten in die Feststellung: „Armut ist strukturelle Gewalt.“
Bei seinem Vortrag konnte Trabert aus seinem großen Wissen und seiner langen Erfahrung schöpfen, denn er gründete eine Obdachlosenpraxis in Mainz und half in vielen Krisengebieten. Trabert beklagte, dass die gesundheitlichen Folgen der Armut bekannt sind, aber keine Konsequenzen daraus folgen. So könne man sich von dem im Hartz IV vorgesehenen Satz von 3,30 Euro nicht gesund ernähren. Insgesamt müsste der Hartz IV-Satz um 200 Euro erhöht werden. „Das jetzt beschlossene Bürgergeld ist de facto eine Kaufkraftverringerung.“ Ebenso sei die Inflation bei Schulessen und Bildungsmaterialen nicht berücksichtigt.
„Obdachlose haben keine Lobby“, betonte Trabert. Ein Grund: „Immer mehr Parlamentarier kommen aus der Oberschicht.“ Er forderte deshalb ein Pflichtpraktikum für jeden Parlamentarier in einer Einrichtung der sozialen Arbeit, „damit sie sehen, wie sich ihre Entscheidungen auswirken.“ Wichtig sei eine Begegnung auf Augenhöhe. Das beginne bei der Sprache. Man solle etwa nicht von „sozial Schwachen“ reden. Menschen, die schwierige Lebenssituation bewältigen, seien nicht sozial schwach. „Sozial schwach ist der Unternehmer, der seine Schuhe in Bangladesch produzieren lässt.“ Mit Begriffen wie „sozial schwach“ oder „bildungsfern“ werde die Schuld individualisiert und den Betroffenen zugeschoben. Trabert erinnerte daran, dass jeden Schicksalsschläge treffen können, die Menschen aus dem normalen bürgerlichen Leben werfen. Wichtig sei „Gleichwürdigkeit“ und „Gleichwertigkeit“. „Wir müssen allen Formen von Rassismus, Sozialrassismus und Klassismus entgegentreten.“
Niederschwellige Angebote wie das MedMobil seien nötig, könnten aber nicht das Ziel sein. „Die Menschen müssen ganz normal einkaufen und ganz normal zum Arzt gehen können.“ Trabert forderte, Strukturen zu verändern. Dazu gehören der Stopp der Privatisierung im Gesundheitswesen und eine einheitliche Bürgerversicherung. Vor allem müsse Geld zugunsten der sozialen Gerechtigkeit umverteilt werden. „Wir brauchen 100 Milliarden für die Umsetzung sozialer Gerechtigkeit“, so Trabert. „Soziale Gerechtigkeit ist eine Bewährungsprobe jeder Demokratie. Man muss die Menschen würdevoll behandeln. Wenn man das nicht tut, läuft man Gefahr die Menschen zu verlieren“, so Trabert. „Es ist wichtig zu handeln, jetzt zu handeln und auf die Straße zu gehen. Obdachlose haben keine Lobby.“
Über 130 Menschen kamen zur Veranstaltung, die im Straßenraum unter der Paulinenbrücke stattfand. „Die Straßenuni möchte Bildung für alle mit allen und Begegnungsräume schaffen“, so Hannah Gröner vom Projekt in ihrer Begrüßung. Das wurde auch gleich umgesetzt: Nach dem Vortrag gab es Musik und Essen aus geretteten Lebensmitteln. Die Menschen kamen miteinander ins Gespräch. Auch das MedMobil und die Straßenzeitung Trott-war waren mit Ständen vertreten. Insgesamt war es ein gelungener Start ins erste Semester der Straßen-Universität Stuttgart.